Das neue Jahr beginnt und wir stellen uns einem Neujahrsvorsatz.
Und zwar einem ganz schön ambitionierten: Weniger Handy! Eine Woche lang legen wir den Zeitfresser zur Seite um mehr Zeit für die Uni, Freunde und uns selbst zu haben. Ob das funktioniert?
Unsere Frage für diese Woche:
Können wir eine Woche lang ohne unser Smartphone leben?
Dieses komplexe Experiment bedarf selbstverständlich einiger Vorbereitungen:
Wir notieren die wichtigsten Handynummern ganz altmodisch mit einem Kugelschreiber auf einem Blatt Papier. Und wir suchen unsere Armbanduhren und Wecker.
Nachdem ich weder eines noch das andere besitze, lade ich mein Tablet auf und nutze dieses als Wecker. Außerdem sagen wir allen Freunden Bescheid, dass wir ab Montag eine Woche nicht per Handy erreichbar sind.
Um sicherzugehen, dass wir nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, erlauben wir uns jeweils drei Joker (jeweils 15 Minuten). Achtung Spoiler-Alert: Einen Joker müssen wir im Laufe der Woche beide einsetzen.
MONTAG:
Ich bin nachts panisch aufgewacht, weil ich kein Vertrauen in meinen Ersatzwecker habe.
Mein Freund ruft mich morgens an. Normalerweise würde ich kurz mit ihm telefonieren und mich dann nochmal umdrehen, aber nachdem er heute auf dem Festnetz anruft muss ich tatsächlich aufstehen. So habe ich mir mir mein Aufstehen nicht vorgestellt.
Im Bus ärgere ich mich, dass mein iPod nicht dabei ist - sonst würde ich jetzt mit dem Handy Musik hören aber das geht ja heute leider nicht. Und das Wetter ist scheiße. Und es ist Montag morgen.
Auf dem Weg vom ZOB zur Uni sind erstaunlich wenig Uhren - eigentlich nur eine. Ich kann mein Tablet nicht dauernd aus dem Rucksack holen und nachschauen, weil das zu viel Zeit kostet. Ich versuche zu analysieren wie gestresst die anderen Studenten in die Hörsäle hetzen und stelle fest: es muss Viertel nach sein. Die Uni hat also schon angefangen
Mein erster Joker geht schon am allerersten Tag drauf - das habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich muss eine Überweisung tätigen und dafür brauche ich nunmal einen Code, der mir aufs Handy geschickt wird. Ganz schön nervig. Nachdem die Bank meines Vertrauens zudem eine reine Online-Bank ist, gäbe es für mich wohl keine Möglichkeit Geld zu überweisen, wenn mein Smartphone wirklich mal ausfallen sollte!
Kommentare von Anja M: Der Wecker ist bei mir nicht das Problem - da habe ich einen treuen Begleiter, einen Lichtwecker, der mich auch sonst zuverlässig weckt. Allerdings bin ich ebenfalls kein Armbanduhren-Typ und die Einzige die ich habe, ist natürlich schon längst stehengeblieben.
Ohne eine Uhr aus dem Haus zu gehen ist tatsächlich ungewohnt. Und ich ertappe mich ein zwei Mal dabei wie ich nach meiner Jackentasche greife, die heute jedoch leer ist.
Denn das Handy liegt unerreichbar in meinem Zimmer oben auf einem Regal.
DIENSTAG:
Die Sache mit der fehlenden Uhr ist nach wie vor das Schlimmste. Das Experiment könnte auch "Eine Woche ohne Uhr" heißen. Es passiert mir heute mehr als einmal, dass ich total gehetzt an der Bushaltestelle stehe, mir nicht sicher bin ob der Bus noch kommt oder nicht und im Endeffekt fünf Minuten (grob geschätzt - ich habe ja keine Uhr!) zu früh da war.
An dieser Stelle möchte mich bei allen Mitmenschen entschuldigen, die ich im Laufe der Woche alle zehn Minuten nach der Uhrzeit gefragt habe - und noch fragen werde.
Ansonsten verläuft der Tag ereignlos - außer, dass ich in meinen Seminaren noch unaufmerksamer bin, weil ich Zeit verbringe E-Mails an den PCs in unserem Newsroom zu beantworten. Was mir allerdings auffällt: Dadurch, dass ich mich nur unregelmäßig in Facebbok einlogge, warten nach ein paar Stunden locker vier Nachrichten und 21 Benachrichtigungen auf mich.
Ein paar Minuten meines ersten Jokers muss ich heute schon verbrauchen um in einem Whatsappchat ein paar organisatorische Dinge zu klären. Ansonsten fällt mir die Handyabstinez bis jetzt leichter als gedacht.
Am Abend komme ich endlich einmal wieder dazu ein paar Seiten ohne Ablenkung zu lesen. Sonst passiert es leider viel zu oft, dass ich vor dem einschlafen das Handy aus der Hand lege statt einem Buch...
MITTWOCH:
Ich stelle mir wieder meinen Tablet-Wecker, was mittlerweile ganz gut funktioniert und bin selbst total überrascht, dass ich mein Handy bisher überhaupt nicht vermisse. Das kann auch daran liegen, dass diese Woche recht stressig für mich ist und es irgendwie auch ganz nett ist, mal nicht dauernd erreichbar zu sein.
Wäre da nicht die Sache mit der Uhr. Ich stehe schon wieder im Regen an der Bushaltestelle (und nein, hier gibt es kein Wartehäusschen!) und weiß nicht ob und wann der Bus kommt.
Ich frage mich, ob mein mangelndes Zeitgefühl vielleicht daher kommt, dass ich sonst alle paar Minuten (oder Sekunden - Uhrzeiten kann ich mir nicht besonders gut merken) mein Handy zücke.
Auch während meines Seminars macht mir dieses Defizit zu schaffen.
Erkenntnis des Tages: Ein vierstündiges Seminar ohne Handy und ohne Uhr ist sehr lang.
Und selbst danach muss ich schmerzlich erfahren, was es heißt ohne Uhr zu leben: Ich verpasse um eine Minute den Bus nach Hause und muss eine halbe Stunde warten. Natürlich habe ich kein Handy, hinter dem ich mich verstecken kann. Vermutlich spricht mich deshalb ein circa 8-jähriger Grundschüler an, der völlig aufgelöst seinen Dinosauriergeldbeutel sucht, in dem auch seine Busfahrkarte ist.
Ich versuche ihn zu trösten, was mir mäßig gelingt. Ich fühle mich in der Rolle der Mutter Theresa des ZOBs überfordert. Ich muss mich plötzlich mit meinen Mitmenschen beschäftigen. Ganz schön anstrengend. Und es ist arschkalt. Wo ist mein Handy? Mir ist langweilig.
Ich bleibe heute zu Hause. Da habe ich wenigstens eine Uhr. Ein bisschen fehlt der 24-Stunden-Kontakt mit Familie, Freund und Freunden über Whatsapp langsam doch und ich bin gespannt wie viele ungelesene Nachrichten ich in diversen Gruppenchats nach einer Woche haben werde.
Am Abend rufe ich doch tatsächlich mit meinem eh schon wenig genutzen Festnetztelefon bei meinem Freund zu Hause über deren Festnetztelefon an!
Wie lange ist es her, dass man so was gemacht hat... Und außerdem: was haben wir in der Zeit vor den Smartphones gemacht? Wie hat das eigentlich funktioniert? Sind wir tatsächlich schon so abhängig von den Dingern geworden?
Fragen über Fragen...
DONNERSTAG:
Der Tag beginnt mit einer Herausforderung: Ich muss mich um 9.30 Uhr in der Uni treffen.
Wenn ich heute zu spät komme, kann ich nicht unterwegs schnell tippen, dass ich spät dran bin, sondern muss tatsächlich pünktlich sein. Motiviert wie ich bin meistere ich diese Leistung mit links und bin sogar zu früh da. Aber der Tag ist noch jung und ich habe noch genügend Gelegenheiten mich zu ärgern.
Um 10 Uhr haben wir einen Interviewtermin bei einer älteren Dame, die in einem Stadtteil wohnt, den ich mal so gar nicht kenne. Organisiert wie ich bin habe ich mir am Vortag von daheim aus eine GoogleMaps-Karte ausgedruckt - die aber irgendwie wenig hilft, wenn man sich erst einmal verlaufen hat. Am Ende muss dann doch das Handy meines Kommilitonen herhalten.
Am Abend wünsche ich mir zum ersten Mal wirklich, mein Handy wieder benutzen zu können. Um 22.30 Uhr mache ich mich mit dem letzten Bus auf zu dem Club, in dem unser Uniradio monatlich eine Party organisiert um ein bisschen Kleingeld zu verdienen. Um 22.45 Uhr stehe ich vor dem Club. Er ist geschlossen. Die Party sollte aber um 22 Uhr beginnen. Hilfe!
Hätte ich jetzt ein Smartphone würde ich schnell abchecken was los ist. Habe ich aber nicht. Nachdem es kalt draußen ist, mache ich mich auf zur Uni und setze mich an einen PC in einer unserer Bibliotheken um zu sehen, ob ich auf Facebook herausfinden kann, ob ich irgendwas verpasst habe. Peinliche Situation. Nach kurzem Klicken sehe ich, dass die Party heute erst um 23 Uhr beginnt. Noch peinlicher.
Nachdem es mittlerweile 23 Uhr ist starte ich einen neuen Versuch in den Club zu kommen. Die Party verläuft dann überraschend normal. Aber irgendwann ist auch der beste Abend vorbei und man muss irgendwie nach Hause kommen. Normalerweise rufe ich immer schnell mit meinem Smartphone ein Sammeltaxi. Das geht heute natürlich nicht, also benutze ich zum ersten Mal nach einer sehr langen Zeit - vielleicht sogar in meinem ganzen Leben - eine Telefonzelle! Glücklicherweise habe ich mich schon zu Hause informiert, wo ich eine finde und wie eine Telefonzelle gleich nochmal funktioniert.
Erkenntnis des Tages: Ein Anruf von einer Telefonzelle aus kostet mittlerweile 50 Cent pro Minute! Ganz schön teuer. Mit meinem Handy hätte es dank meiner Flatrate nichts gekostet.
Das Wetter zeigt sich heute zur Abwechslung mal von seiner besten Seite. Zeit ein wenig Sonne zu tanken. Sich ein paar Minuten ohne die Ablenkung des Handys an den Fluss zu setzten, ist echt entspannend.
Und für das Erinnerungsfoto muss eben heute einmal die Digitalkamera herhalten.
Am Abend bin ich zum Unikurs etwas zu früh da. Ich fühle mich komisch, einfach nur so dazusitzen, durch die Gegend zu schauen und auf den Beginn zu warten. Kein Handy mit dem ich mich ablenken kann...
FREITAG:
Auch heute Abend vermisse ich Google Maps schmerzlich. Ich muss für eine Sendung des Uniradios wieder zu einer mir unbekannten Wohnung und wieder in einen mir vollkommen unbekannten Stadtteil. Hätte ich ein Handy, könnte ich jetzt entweder die Adresse per GoogleMaps suchen oder zumindest das Technik-Team anrufen und einen Hilferuf absetzen.
Mir bleibt also nichts anderen übrig als in der Dunkelheit in einer fremden Nachbarschaft herum zu irren. Letztendlich werde ich aber natürlich auch hier fündig. Trotzdem frage ich mich, wie die Menschen, die in der Zeit zwischen Rauchzeichen und Smartphones lebten, ihren Alltag gemeistert haben.
Der Freund lernt. Der Abwasch ist gemacht. Das Internet ist durchgeguckt. In Ermangelung einer weiteren Aktivität, setzte ich mich ohne Ablenkung mit einem Buch aufs Sofa. Sollte ich eigentlich öfter machen...
SAMSTAG:
Ich würde gerne von einem spannenden Ereignis berichten, aber heute hat mir mein Smartphone wirklich überhaupt nicht gefehlt. Ich sitze wegen eines Blockseminars die meiste Zeit sowieso an einem PC und verpasse eigentlich wenig. Es ist bereits der sechste Tag und ich habe mittlerweile schon fast vergessen, dass ich eigentlich mein Handy vermissen sollte.
Im heutigen Uniseminar schreibe ich meinem Freund eine Mail von dem Uni-PC aus mit der Info wann ich voraussichtlich nach Hause komme. Whatsapp ist ja gerade nicht... lesen tut er die Mail natürlich nicht.
SONNTAG:
Das Wetter ist wunderschön und ich beschließe ein bisschen spazieren zu gehen. Anschließend gehe ich mit meinem Freund Brunchen und er beschwert sich zum ersten mal nicht, dass ich währenddessen auf meinem Handy herumtippe. Mittlerweile empfinde ich die handyfreie Zeit als richtigen Luxus. Einfach mal nicht erreichbar sein.
Am Abend schalte ich mein Handy zum ersten mal wieder an (nachdem ich es zehn Minuten lang gesucht habe). Und verlege mein Handy anschließend dreimal. Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt etwas in der Hosentasche zu haben.
Der letzte Tag! Langsam vermisse ich mein Handy tatsächlich ein bisschen. Morgens zum Wachwerden auf dem Bildschirm herumtippen oder sich nach der Uni zur Entspannung mit dem Handy auf das Sofa legen - für all das musste ich mir diese Woche Alternativen suchen.
Fazit: Wir können überraschend einfach auf unser Smartphone verzichten.
Ich bin selbst total überrascht, dass mir mein Smartphone so gut wie gar nicht gefehlt hat. Ganz auf mein Handy möchte ich im neuen Jahr natürlich nicht verzichten, weil gerade die Möglichkeit Dinge schnell zu klären einfach super praktisch ist. Aber ich werde mein Handy im neuen Jahr definitiv öfter zur Seite legen.
Die Smartphone-Abstinenz fiel mir tatsächlich leichter als gedacht. Allerdings nur zu Hause wo der Laptop als Alternative diente. Wäre ich wohl öfters unterwegs gewesen oder wäre lange Zug gefahren, dann hätte ich es wohl schmerzlicher vermisst. Es ist erschreckend, wie sehr man sich doch tatsächlich schon an diese täglichen Begleiter gewöhnt hat. In Zukunft werde ich mich öfter bewusst dazu zwingen das Handy aus der Hand zu legen.
Übrigens haben nach einer Woche 161 ungelesene Whatsapp-Nachrichten auf mich gewartet.
Gerade in der Prüfungszeit lohnt es sich, den Zeitfresser mal zur Seite zu legen, was gar nicht so schwer ist! Hier ein paar Vorschläge, was ihr mit eurer neu gewonnenen Zeit anfangen könnt:
- endlich das aktuelle Buch fertig lesen
- für die anstehenden Klausuren lernen
- den liegengebliebenen Haushalt schmeißen
- die Zeit einfach mal genießen ohne etwas zu tun
- das Wetter genießen (egal ob Schnee oder Sonnenschein)